Regionale Wertschöpfung auf digitalem Fundament

eine Frage der Kooperationsfähigkeit

Städte, Regionen und der lokale Einzelhandel lassen sich nicht per Knopfdruck digitalisieren. Um einen beharrlich moderierten Prozess des Veränderungs- und Kooperationsmanagements kommen die Betreiber und Teilnehmer lokaler bzw. regionaler Online-Marktplätze deshalb nicht umhin, wollen sie am Ende eine attraktive und damit wirtschaftlich tragfähige Lösung für den lokalen Online-Kauf auf die Beine stellen.

Die Steigerung der „digitalen Aufenthaltsqualität“ in unseren Städten und Regionen fängt bei der Optimierung der Online-Sichtbarkeit von verfügbaren Waren im lokalen Handel an. Mit der derzeitigen Trendvokabel Smart City oder gar Künstlicher Intelligenz hat das alles noch nichts zu tun. Lokale bzw. regionale Online-Marktplätze sind hier eine infrastrukturelle Grundleistung für Gewerbestandorte – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Was jedoch einfach klingt, ist in der Praxis ein hartes Ringen um Fördergelder, Kundenakzeptanz, technische Schnittstellen in Warenwirtschaftssystemen, politische Meinungshoheit, konzeptionelle Schlüssigkeit und – nicht zuletzt – um Kooperationsfähigkeit von städtischen und unternehmerischen Akteuren. Technisch sind lokale Digital-Initiativen ja kein Hexenwerk, das nötige Veränderungsmanagement der einzelnen Akteure aber wird mitunter sträflich vernachlässigt. Dies zeigt sich dann spätestens in der Vertriebsphase eines Infrastrukturgebers, wenn Händler nicht in Scharen herbeigeströmt kommen, um Teil des prinzipiell gut gemeinten Online-Projekts zu sein.

Folgende Punkte sollten deshalb bei der Etablierung kooperativ angelegter digitaler Vertriebsinfrastrukturen besonders berücksichtigt werden:

Aufgrund des Henne-und-Ei-Problems (zunächst wenig Produkte und Händler) ist ein langer Atem bei der Etablierung eines lokalen bzw. regionalen Online-Marktplatzes gefragt. Dieser kann nur durch die stetige Akquise von Teilnehmern aus Handel und Dienstleistung sowie durch Kooperationen des Infrastrukturgebers mit Verbundgruppen, Herstellern, Lieferanten und Großhändlern organisch wachsen.

Letztlich ist der Mangel an konsistenten Produktdaten, deren Aufbereitung und Bereitstellung sowie die fehlende technische

Ausstattung des inhabergeführten Handels ein zentrales Wachstumshemmnis. Ein teilnahmewilliger Geschäftsinhaber sollte deshalb in technische Systeme investieren (elektronische Warenwirtschaft, ERP, CRM), mit denen er effizient auf dem lokalen/regionalen Online-Marktplatz agieren kann. Diese Systeminvestition ermöglicht ihm weiteren Spielraum, seine digitale Zukunft selbst zu gestalten – sei es durch die Teilnahme an reichweitenstarken globalen Online-Marktplätzen (Schnittstellen), durch mehr Kundenwissen (Kundendaten) oder effizientere Geschäftsprozesse (z. B. vorbereitende Buchhaltung, Lagerverwaltung und Order-Management).

Werbemaßnahmen auf Basis größerer Medialeistungen (Printanzeigen, Radiospots etc.), die also über Informationsflyer, Merchandise-Artikel, Facebook, Newsletter oder Suchmaschinenoptimierung hinausgehen, sind erst dann sinnvoll, wenn eine relevante Sortimentsbreite und -tiefe erreicht wurde.

Hier können Filialisten aufgrund der prinzipiell besseren Systemvoraussetzungen einen wertvollen Beitrag liefern gewinnen, allerdings muss es dem Projektmanagement einer digitalen City-Initiative gelingen, eine Brücke zwischen inhabergeführtem Fachhandel auf der einen und Filialhandel auf der anderen Seite zu schlagen. Viele Maßnahmen zur lokalen Kaufkraftbindung können auch in Zukunft nur mit starken lokalen Partnern wie beispielsweise Finanzdienstleistern oder Energieversorgern, mit karitativen Einrichtungen (Nahversorgungsfunktion) und selbstredend mit kommunalen Institutionen umgesetzt werden.

"Perspektivisch aber ist klar: Eine digitale City-Initiative darf kein über Fördermittel subventioniertes Marketing-Modell bleiben, sondern muss sich langfristig selbst tragen."

Es ist hilfreich, auch Lokalprominenz aus Politik, Kultur und Wirtschaft als Fürsprecher zu gewinnen (Local Celebrity Endorsement), um der lokalen Online-Marke auch mit begrenztem Werbebudget den notwendigen Rückhalt zu geben.

Digitales Dachmarketing für den Einzelhandelsstandort (darin eingeschlossen Management und Betrieb eines lokalen Online-Marktplatzes) könnte im Rahmen einer genossenschaftlichen Organisation der Akteure aufgesetzt werden – nicht zuletzt um zu vermeiden, dass internationale Konzerne der digitalen Industrie mittelfristig als Torwächter jedweder digitalen Infrastruktur des quasi-öffentlichen „online-lokalen“ Raums mit Nahversorgungsfunktion auftreten. Anders ausgedrückt: Die Stadt sollte ihre Gatekeeper-Funktion für Infrastrukturleistungen auch im digitalen Bereich nicht aufs Spiel setzen. eBay schafft es derzeit zwar nur mit mäßigem Erfolg sein Programm „eBay City“ zu etablieren, aber Amazon könnte mit „Storefronts“ von heute auf morgen relevanter für inhabergeführte Geschäfte auf lange Sicht lieb sein kann. Auch der aufstrebende Online-Lebensmittelhändler aus den Niederlande picnic wird hierzulande seine risikokapitalgetriebene Expansion sicherlich nicht vor dem Hintergrund der Milchmann-Romantik fortsetzen.

Der Rückgriff auf einen etablierten Local-Commerce-Infrastrukturgeber ist alleine aus IT-Kostengründen empfehlenswert. Eine White-Label-Lösung, ein per City-Administrator oder Betreibergesellschaft zu betreuender Online-Marktplatz sowie ein schlüssiges Logistikkonzept sind Mindestanforderungen an den Infrastrukturgeber.

Lokale (IT-)Dienstleister bieten sich – Kompetenz vorausgesetzt – für die verschiedensten begleitenden Maßnahmen als Sparringspartner der Initiative an (Aufbereitung von Produktdaten, Fotoarbeiten, betriebsindividuelles Social-Media-Marketing, Einrichtung von Warenwirtschaftssystemen etc.).

Ohne Kümmerer funktioniert gar nichts. Die kontinuierliche Begleitung und Moderation durch ein Projektmanagement und das gebotene fachliche Know-how sind ebenso erfolgsentscheidend wie die Finanzierung dieses „Kümmerers 2.0“ etwa im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft.

Fazit:

Die Digitalisierung und deren Protagonisten aus der Internetwirtschaft – allen voran Google und Amazon – verändern unsere Städte und Regionen fundamentaler als es uns recht sein kann. Local-Commerce-Initiativen bilden hier als Gegenpol ein digitales Vertriebs- und Kommunikationsnetzwerk samt institutionellem Rahmen und Kompetenzträgern, damit sich lokale Unternehmen in ihm kooperativ entfalten können. Hierzu braucht es mutige Entscheider im Rathaus, einen veränderungsbereiten Handel sowie entsprechende Digital- und Moderationskompetenzen aufseiten der Kümmerer in Stadtmarketing-Organisationen, Citymanagement, Gewerbevereinen oder Wirtschaftsförderungen. Der wichtigste Kooperationspartner aber ist der Kunde. Mit hanebüchenen Schaufensterzuklebereien und ewigem Kaufmannslamento wird man ihn nicht halten können – aber mit technisch-konzeptioneller Exzellenz, die immer eine wertvolle Investition in die Zukunft der regionalen Wertschöpfung ist.

 

Über den Autor:

Andreas Haderlein, Jg. 1973, ist Wirtschaftspublizist, Buchautor und selbstständiger Innovationsberater. Er war u. a. Impulsgeber und Co-Projektmanager des nationalen Pilotprojekts „Online City Wuppertal“ von 2013 bis 2016 und gilt als profiliertester Vordenker zu Digitalstrategien für Städte, Regionen und Kommunen. 2018 erschien sein jüngstes Buch „Local Commerce: Wie Städte und Innenstadthandel die digitale Transformation meistern“.